Thema
Jahrelang musste Amerika zusehen, wie Unternehmen ins Ausland abwanderten. Für jene Unternehmen, die beschlossen hatten, die USA zu verlassen, schien das Gras auf der anderen Seite der Welt viel, viel grüner zu sein. Jetzt kommen sie zurück dank des Schiefergases und Amerika erntet endlich die Lorbeeren.
Nachdem Amerika jahrelang gegenüber Asien und dem Nahen Osten das Nachsehen hatte, wendet sich das Blatt nun zu seinen Gunsten.
Es findet aber nicht nur eine Trendwende statt.
Die Ereignisse überschlagen sich derart, dass die USA Schwierigkeiten damit haben, mit der Anzahl von Chemieunternehmen Schritt zu halten, die neue Gaskracker bauen, alte erneut in Betrieb nehmen oder bestehende Anlagen erweitern wollen, damit sie die riesigen Mengen billigen Erdgases entweder als Energiequelle oder als wichtigen Rohstoff für die petrochemische Industrie zur Herstellung von Kunststoffen und Lösungsmitteln nutzen können.
Letztendlich ist die menschliche Arbeitskraft entscheidend.
Bob Learman, CEO von INEOS Oligomers, meint dazu: „Wir sehen schon jetzt aufgrund der Vielzahl der Projekte Probleme auf uns zukommen.“ Der Geschäftsbereich plant für Ende 2016 die Eröffnung einer neuen Großanlage zur Produktion linearer Alphaolefine an der US-Golfküste.
„Es gibt unter den Universitätsabsolventinnen und -absolventen einfach nicht genügend Ingenieurinnen und Ingenieure. Die unmittelbare Herausforderung besteht darin, erfahrenes Personal zu finden, das komplexe Chemieanlagen bauen und bedienen kann.“
Nach der Fertigstellung soll das neue Werk den Jahresgewinn von INEOS Oligomers um etwa 100 Millionen USD steigern.
Die Expansionspläne von INEOS sind allerdings nur ein Teil des amerikanischen Traums.
Nach Schätzungen von IHS Chemical im August 2013 planen Chemieunternehmen bis 2017 48 Milliarden USD in neue Anlagen zu investieren. Diese Summe wird zwischen 2018 und 2030 auf insgesamt 68 Milliarden USD steigen.
„Das entspricht einem Anstieg von 60 Prozent ab 2010, was ein Spitzenwachstum ist“, so Bob weiter. „Der Motor für all diese Investitionen ist der Zugang zu kostengünstigem Ethan für Chemikalien.“
Kurz gesagt ließ die Verfügbarkeit preiswerten Ethans, eines natürlichen Gases, das aus Schiefergas gewonnen wird, die US-amerikanische Chemieindustrie wieder aufleben und bietet ihr im Vergleich zu vielen Konkurrenten weltweit einen Wettbewerbsvorteil, denn diese hängen von Naphtha ab, einem teureren, erdölbasierten Rohstoff.
„Schiefergas hat wirklich alles verändert“, so Dennis Seith, CEO bei INEOS Olefins & Polymers USA.
„Das ist geradezu phänomenal und dadurch bieten sich immer größere Chancen. Billigere Ausgangsstoffe bedeuten höhere Gewinnmargen und bessere Wettbewerbsfähigkeit für unsere heimischen Märkte. Wir stellen fest, dass die Binnennachfrage steigt.“
INEOS Capital hat mehr als 300 Millionen USD bereitgestellt, um Pipelines zu kaufen, die Infrastruktur zu verbessern und seine Ethylenproduktion zu erweitern, eine Chemikalie, die zur Herstellung einer breiten Produktpalette verwendet wird – von Seifen über Lacke, Bekleidung und Plastikflaschen bis hin zu Kosmetik.
Bis Ende 2015 soll eine weitere Produktionseinheit zur Herstellung von pro Jahr 500.000 Tonnen Polyethylen hoher Dichte errichtet werden.
„INEOS Capital investiert im Normalfall jedes Jahr zwischen 50 und 100 Millionen USD in unser Unternehmen“, so Dennis. „Daher ist dies nun ein hoher Betrag.”
Diese Investitionen sollen bis zu 250 Millionen USD pro Jahr zum Gewinn des Unternehmens beitragen.
Laut Dennis waren diese Investitionen durch den Zugang zu kostengünstigem Ethan möglich, das für die Ethylenherstellung verwendet wird.
Er fügt hinzu: „Diese günstigen Rohstoffe haben unserem Unternehmen zu einer verbesserten Rentabilität – von 300 Millionen USD pro Jahr hin zu mehr als einer Milliarde USD pro Jahr – verholfen.“
Außerhalb der Grenzen der USA empfindet man diesen Zugriff auf billige Rohstoffe, diesen Vorteil, dieses Blatt, das sich gewendet hat, diese bahnbrechende Entwicklung, als Bedrohung.
Der amerikanische Energieboom beunruhigt Saudi-Arabien, Russland und China. Obwohl viele Teile der Welt auf riesigen Schiefergasvorkommen sitzen, ist es bis jetzt nur Amerika gelungen, die Produktion im großen Maßstab zu vermarkten.
In Europa, einem der teuersten Standorte der Petrochemie weltweit, verfügt man über dieselbe bahnbrechende Technik zur Erschließung des in Schiefergestein eingeschlossenen Erdgases, jedoch konnte man sich hier noch zu keiner Entscheidung durchringen.
In Großbritannien, wo einige Bohrungen vorgenommen wurden, kam es zu Protesten gegen das Fracking.
„Fracking ist auch in Amerika sehr umstritten“, so Bob. „In dicht besiedelten Gebieten, in denen kürzlich Schiefergas entdeckt wurde – Ohio, New York und Pennsylvania – hat man Angst vor deutlich wahrnehmbaren negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Aber der Widerstand ist nicht so schlimm wie in Europa. Die Diskussion ist vernünftig, sachlich und beständig. In Orten, wo Erdöl- und Erdgasbohrungen aus der Vergangenheit bekannt sind, sehen die Menschen deren Vorteile und unterstützten sie.“
In einem kürzlich erschienenen Bericht von PwC zu den möglichen Auswirkungen von Schiefergas auf die US-amerikanische Industrie prognostizieren Expertinnen und Experten, dass durch Schiefergas bis 2025 mehr als eine Million Arbeitsplätze geschaffen und die Rohstoff- und Energiekosten amerikanischer Produktionsbetriebe um bis zu 11,6 Milliarden USD pro Jahr sinken werden.
„Dies ist durchaus möglich“, meint Jim Cooper, ein hochrangiger Berater der Petrochemie bei American Fuel & Petrochemical Manufacturers.
„Es gibt viele Gründe, weshalb alle Welt derzeit nach Amerika blickt. Es sind dies die beiden gewaltigen Wettbewerbsvorteile – Energie- und Rohstoffpreise. Es bedeutet, dass wir eine Vielzahl von Dingen zur rechten Zeit am rechten Ort vorfinden.“
Wie sind weit entfernt von den dunklen Tagen der weltweiten Wirtschaftskrise in den Jahren 2008/2009, als überall die Lichter ausgingen.
Laut dem American Chemistry Council sollen zu dieser Zeit etwa 66.000 Beschäftigte allein in der Chemiebranche arbeitslos geworden sein, da die Nachfrage nach ihren Produkten einbrach.
Die Baubranche – in den USA ein Schlüsselsektor für die Chemiebranche – kam praktisch zum Erliegen. Ausgaben für Autos, Möbel und Elektrogeräte – alles wichtige Märkte für die Chemieindustrie – sanken rapide, da die Leute den Gürtel enger schnallten.
Bei INEOS Oligomers, das Hexane und Oktane zur Polyethylenherstellung, Bohrflüssigkeiten von geringer Toxizität und zahlreiche Ausgangsstoffe für hochleistungsfähige synthetische Schmiermittel produziert, waren die Gewinne eingebrochen, doch aufgrund der breiten Produktpalette hatte man sich zwei schwere Jahre später wieder „gut erholt“.
„Unsere Gewinne haben sich zwischen 2009 und 2010 beinahe verdreifacht“, meint Bob. „Nach einem Tiefpunkt von 67 Millionen USD während der Rezession erzielten wir im darauffolgenden Jahr einen Gewinn von 187 Millionen USD.“
INEOS Olefins & Polymers USA, das Rohstoffe für die weltweite Kunststoffindustrie herstellt, ging aus der Rezession ebenfalls gestärkt hervor.
„Die Umstrukturierung war bei uns schon abgeschlossen. Wir hatten uns schon vor der Rezession stärker darauf konzentriert, unsere Kosten zu senken. Somit waren wir nach Überwindung der Flaute wieder in einer guten Ausgangslage für Wachstum“, so Dennis.
„Selbst in den dunklen Tagen gab es durchaus Chancen. Der Silberstreif am Horizont war für uns, dass wir viele talentierte Beschäftigte rekrutieren konnten. Bei INEOS waren viele Beschäftigte in den Ruhestand getreten, aber wir konnten sie schnell mit Nachwuchskräften ersetzen, da andere Unternehmen Personal abbauten. Sie brachten neue Ideen mit.”
Heute entfallen auf die US-amerikanische Chemiebranche etwa 19 Prozent der weltweiten Chemieproduktion, was der amerikanischen Wirtschaft Milliarden einbringt. Durch Schiefergas soll diese Zahl noch steigen.
Eine Folge des Schiefergasbooms war auch, dass Banken und Einzelanleger nun einen unbändigen Appetit haben, wenn es um Investitionen in Chemieunternehmen geht.
Da mehr als 50 Prozent der Gewinne von INEOS inzwischen in den Vereinigten Staaten erwirtschaftet werden, haben sie sich auch zum Magneten für Investitionen von INEOS Capital entwickelt.
INEOS Capital plant, bis 2017 fast 400 Millionen USD in den Geschäftsbereich Oligomers in den USA zu investieren, wo die Produktionskosten nur halb so hoch sind wie am Schwesterstandort in Belgien.
Neben der neuen Produktionseinheit für lineare Alphaolefine (LAO) an der US-Golfküste soll auch die Herstellung von Polyalphaolefinen (PAO) gesteigert werden, um die Nachfrage nach hochleistungsfähigen synthetischen Schmierstoffen zu bedienen, die bei Fahrzeugen für niedrigere CO2-Emissionen und verbesserten Kraftstoffverbrauch sorgen sowie Motoren vor Verschleiß schützen. PAO wird auch als industrielles Schmiermittel verwendet.
Bob: „Insbesondere für Windkraftanlagen, bei denen die Scherstabilität ein entscheidender Faktor ist, werden diese Stoffe stark nachgefragt.“
Allein durch diese Investition sollen die Gewinne von INEOS um 20 Millionen USD pro Jahr steigen.
„Das ist wirklich aufregend“, so Bob weiter. „Wachstum schafft Chancen für die Beschäftigten. Obwohl die PAO-Pläne nicht sehr viele zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, so entstehen durch die neue LAO-Anlage etwa 100 neue Stellen.“
„INEOS Oligomers ist bereits der weltweit größte Hersteller von Polyalphaolefinen. Aufgrund unserer Investitionspläne sind wir sicher, diese Position auch zu halten.“
Die neue lineare Alphaolefinanlage, die um 50 Prozent erweitert werden kann, wird jährlich etwa 350.000 zusätzliche Tonnen herstellen können.
Ein Großteil der Zusatzkapazitäten ist für den nordamerikanischen Markt bestimmt, um das schnelle Wachstum der Polyethylenproduktion zu unterstützen und die starke Nachfrage nach synthetischen Schmiermitteln zu befriedigen.
Es finden auch Diskussionen darüber statt, ob ein Unternehmen wie INEOS, das durch das Aufkaufen nicht mehr gewollter Anlagen wuchs, Milliarden in einen Gaskracker und eine Ethylenglykolanlage investieren soll.
„INEOS hat so etwas noch nie gemacht. Vor fünf oder zehn Jahren hätte man sich nicht vorstellen können, dass ein Unternehmen in den USA jemals einen Gaskracker bauen würde,“ sagt Dennis.
Vor dem Schiefergasboom war Amerika in hohem Maße auf Flüssiggasimporte angewiesen. 2008 war man in den USA so besorgt, das Erdgas könne ausgehen, dass die in Houston ansässige Firma Cheniere Energy fünf riesige Lagertanks an der Küste von Louisiana errichtete.
„Wenn man sehen möchte, was die Erdgasrevolution in Amerika ausgelöst hat, gibt es keinen besseren Ort als den Sabine Pass-Hafen für Flüssigerdgas“, so Forbes-Journalist Christopher Helman. „Diese Tanks sind leer.“
Der Grund dafür ist Schiefergas. Bohrfachkräfte haben schließlich herausgefunden, wie man Erdöl und Erdgas aus dem Gestein herauspressen kann, einst als zu schwierig und zu teuer angesehen, Nun gibt es in Amerika so viel Gas, dass man nicht weiß, was man damit anfangen soll.
„Cheniere Energy baut sein Gasimportterminal jetzt erfolgreich in ein Exportterminal um“, weiß Christopher.
Bob und Dennis sind voll des Lobs für ihre europäischen Kolleginnen und Kollegen, weil sie die Gelegenheit erkannt und die Chance ergriffen haben, ihre eigene Wettbewerbsposition als Ethylenhersteller in Europa zu stärken, indem sie billiges Ethan aus den USA für ihre europäischen Gaskracker importieren.
„Sie haben blitzschnell einen Vertrag für den Export von Ethan nach Norwegen abgeschlossen“, meint Dennis.
Ab 2015 wird INEOS Olefins & Polymers in Norwegen bis zu 800.000 Tonnen Ethan als Rohstoff aus den USA importieren.
„Das wird eine bahnbrechende Entwicklung sein“, meint Dennis. „Andere werden es uns gleichtun, aber INEOS wir waren die ersten.“
Sollte sich INEOS in der Zwischenzeit dazu entscheiden, einen Gaskracker zu bauen, könnte es einem neuen Problem gegenüberstehen.
„Wir bräuchten mehrere Hundert Beschäftigte für dessen Betrieb. Das ist eine enorme, schwierige Herausforderung für INEOS, da wir immer noch unbekannt sind“, fügt er hinzu. „Aber wir machen große Fortschritte, und das INCH-Magazin trägt wesentlich dazu bei, uns ins Gespräch zu bringen. Unser bestes Verkaufsargument sind allerdings unsere eigenen Beschäftigten, weil sie mit anderen qualifizierten Arbeitskräften zusammenarbeiten wollen, die die gleiche Vision teilen.“
Bob, der 20 Jahre lang für The Dow Chemical Company tätig war, und Dennis begrüßen diesen innovativen Geschäftsansatz von INEOS.
„Es ist nicht ungewöhnlich, dass wichtige Geschäftsentscheidungen innerhalb von 30 Minuten gefällt werden“, erzählt Bob. „Man braucht keine langatmigen Berichte zu schreiben oder Ausschusssitzungen abzuhalten. Der Prozess ist völlig klar. Wir müssen einfach nur gute Argumente liefern.“
Er lobt die Bereitschaft von INEOS Capital, kalkulierte Risiken auf sich zu nehmen.
Universitätsabsolventinnen und -absolventen schätzen es ebenfalls, wenn sie in ihrem ersten Job schon etwas bewirken können, weil sie vom ersten Arbeitstag an echte Verantwortung tragen.
„Als junger Diplomingenieur wollte ich noch die Welt verändern, aber das war nicht leicht“, sagt Dennis. „Wenn mir jemand die Gelegenheit dazu gegeben hätte so wie INEOS jetzt, dann wäre das für mich sicher ein attraktives Angebot gewesen.“